Literatur über die Rigi
Albrecht von Haller, sein Epos „Die Alpen“ im Jahre 1732.
Dieses Werk steht am Anfang der rasch einsetzenden Begeisterung für die Alpen. Nur: Haller setzt sich nicht mit den auch wirtschaftlich harten Realitäten ihrer Bewohner, sondern verklärt in seinem berühmten Werk sogar die Armut der Älpler.
Wohl dir, vergnügtes Volk! o danke dem Geschicke,
Das dir der Laster Quell, den Überfluss, versagt;
Dem, den sein Stand vergnügt, dient Armut selbst zum Glücke,
Da Pracht und Üppigkeit der Länder Stütze nagt.
Als Rom die Siege noch bei seinen Schlachten zählte,
War Brei der Helden Speis und Holz der Götter Haus;
Glückseliger Verlust von schadenvollen Gütern!
Der Reichtum hat kein Gut, das eurer Armut gleicht;
Die Eintracht wohnt bei euch in friedlichen Gemütern,
Weil kein beglänzter Wahn euch Zwietrachtsäpfel reicht;
Die Freude wird hier nicht mit banger Furcht begleitet,
Weil man das Leben liebt und doch den Tod nicht hasst;
Hier herrschet die Vernunft, von der Natur geleitet,
Die, was ihr nötig, sucht und mehrers hält für Last.
Was Epiktet getan und Seneca geschrieben,
Sieht man hier ungelehrt und ungezwungen üben.
Mit Rousseau erfährt die Verklärung der Innerschweiz ihren vorläufigen ersten Höhepunkt. In seinen Augen haben die Alpenbewohner keine Berührung mit einer sie knechtenden Zivilisation erfahren. Sie sind deshalb in einem ursprünglichen Sinn freie Menschen. Ein weiterer landschaftlicher Vorteil drängt sich geradezu auf: Auch andere Länder haben ihre Schönheiten anzubieten, in der Innerschweiz aber ist die Vielfalt von Bergen, Seen und Tälern nicht weit verstreut, sondern in einer nie gesehenen Vielfalt auf engstem Raum zusammen. Mit Goethes Schweizerreisen und seiner Besteigung der Rigi ist der Bann nach nur fünfzig Jahren endgültig gebrochen. Gäste aus Deutschland, England, Italien, Frankreich, Russland, ja aus Amerika begeisterten sich an der Landschaft der Innerschweiz und freuten sich am Brauchtum des von der Schöpfung so privilegierten, freien Hirtenvolkes. Landschaft und Demokratie, das war das alles verbindende Zauberwort. Und die Rigi wurde rasch zum berühmtesten Aushängeschild des neu erstandenen Tourismus.
Ein Beispiel literarischer Verklärung sollen diesen Prozess belegen. Es sind Beobachtungen, die Graf Stolberg 1791 aus der Bootsperspektive des Vierwaldstättersees mit Blick auf die Anhöhen festhält:
„Auf kühn emporragenden Klippen stehen Häuser, oft auch Kirchen, welche unzugänglich scheinen. Man hat Mühe zu begreifen, dass die Menschen auf dem jähen Hang des Berges sicher gehen; man begreift nicht, wie Kinder, wenn sie aus der Haustür treten, nicht hinunter stürzen in den See?“
Doch nun zu dem seinerzeit berühmtesten Besucher der Rigi, zu Johann Wolfgang Goethe.Im Sommer 1775, das heisst während der ersten seiner insgesamt drei Schweizerreisen, bestieg der damals 26 jährige, wegen des Erfolgs des Briefromans „Die Leiden des jungen Werthers“ bereits international berühmte Schriftsteller die Rigi. Der Bekanntheitsgrad des Berges war wegen der Begeisterung für die Innerschweiz bereits so gross, dass Goethes kurzem Abstecher auf die Rigi für sich allein genommen eigentlich bereits keine besondere Bedeutung zukommt. Es gehörte bereits zum Pflichtprogramm. Für Goethe selber aber war diese erste Schweizerreise insofern von Bedeutung, dass er neben der Tellsage und den entsprechenden Pilgerorten auch der Landschaft der Innerschweiz begegnete. Von beiden wird er nach der dritten Schweizerreise Schiller berichten und so den Freund in Weimar nicht nur auf diesen fabelhaften Stoff aufmerksam machen, sondern ihn auch der für die Ausarbeitung zum Drama frei geben. Goethe hat diesen Beschluss nie bereut, und die enthusiastisch bejubelte Uraufführung von Schillers „Wilhelm Tell“ im Jahre 1801 im Hoftheater zu Weimar steigerte in der Folge die Begeisterung für die Innerschweiz und für die Rigi bis zur Euphorie. Dass es dabei auch galt, Schwierigkeiten zu überwinden, macht Goethes Reisebericht besonders deutlich. Naturerlebnisse waren eben schon damals nicht einfach abrufbar, sondern mussten unter Umständen geduldig abgewartet werden. Im 18. Buch seiner Autobiographie „Dichtung und Wahrheit“ teilt uns Goethe folgendes mit:
Den 17. morgens sahen wir die Schwyzer Hocken vor unsern Fenstern. An diesen ungeheuern unregelmäßigen Naturpyramiden stiegen Wolken nach Wolken hinauf. Um 1 Uhr nachmittags von Schwyz weg, gegen den Rigi zu, um 2 Uhr auf dem Lauerzer See herrlicher Sonnenschein. Vor lauter Wonne sah man gar nichts; zwei tüchtige Mädchen führten das Schiff; das war anmutig, wir ließen es geschehen. Auf der Insel langten wir an, wo sie sagen: hier habe der ehemalige Zwingherr gehaust; wie ihm auch sei, jetzt zwischen die Ruinen hat sich die Hütte des Waldbruders eingeschoben.
Wir bestiegen den Rigi, um halb achte standen wir bei der Mutter Gottes im Schnee; sodann an der Kapelle, am Kloster vorbei, im Wirtshaus "Zum Ochsen".
Den 18. sonntags früh die Kapelle vom "Ochsen" aus gezeichnet. Um 12 Uhr nach dem Kalten Bad oder zum Drei-Schwestern-Brunnen. Ein Viertel nach zwei hatten wir die Höhe erstiegen; wir fanden uns in Wolken, diesmal uns doppelt unangenehm, als die Aussicht hindernd und als niedergehender Nebel netzend. Aber als sie hie und da auseinander rissen und uns, von wallenden Rahmen umgeben, eine klare, herrliche, sonnenbeschienene Welt als vortretende und wechselnde Bilder sehen liessen, bedauerten wir nicht mehr diese Zufälligkeiten; denn es war ein nie gesehner, nie wieder zu schauender Anblick, und wir verharrten lange in dieser gewissermaßen unbequemen Lage, um durch die Ritzen und Klüfte der immer bewegten Wolkenballen einen kleinen Zipfel besonnter Erde, einen schmalen Uferzug und ein Endchen See zu gewinnen.
Um 8 Uhr abends waren wir wieder vor der Wirtshaustüre zurück und stellten uns an gebackenen Fischen und Eiern und genugsamem Wein wieder her.
Wie es denn nun dämmerte und allmählich nachtete, beschäftigten ahnungsvoll zusammenstimmende Töne unser Ohr; das Glockengebimmel der Kapelle, das Plätschern des Brunnens, das Säuseln wechselnder Lüftchen, in der Ferne Waldhörner; - es waren wohltätige, beruhigende, einlullende Momente.
Am 19. früh halb sieben erst aufwärts, dann hinab an den Waldstätter See, nach Vitznau, von da zu Wasser nach Gersau. Mittags im Wirtshaus am See. Gegen 2 Uhr dem Grütli gegenüber, wo die drei Tellen schwuren, darauf an der Platte, wo der Held aussprang und wo ihm zu Ehren die Legende seines Daseins und seiner Taten durch Malerei verewigt ist. Um 3 Uhr in Flüelen, wo er eingeschifft ward; um 4 Uhr in Altdorf, wo er den Apfel abschoss.
Ein berühmter Berg – holt sich berühmte Namen
Die Zeugnisse über die Schönheit der Rigi sind so vielfältig, dass wir uns mit einer Auswahl begnügen müssen. Eine blosse Auflistung wäre auch deshalb wenig interessant, weil sich dieselben Motive wie jenes der wunderbaren Aussicht oder das Erlebnis eines Sonnenaufgangs oder -Untergangs wiederholen. Deshalb beschränken wir uns auf ein paar typische, dafür wesentliche Zeugnisse.
Friedrich Matthisson (1761 – 1831)
Er ist ein hochkarätiger Zeuge. Der vor allem von Schiller hochgeschätzte Dichter, dessen Texte sowohl von Beethoven (Adelaide) wie Schubert (Der Abend) vertont wurden, nimmt all jene in Schutz, die vor ihm die Schönheit der Rigi geschildert haben. Sie wurden nämlich verdächtigt, absichtlich übertrieben zu haben. Ihnen entgegnet er in seinen „Erinnerungen“:
„Auf dem Rigi, August 1787
Der Vorwurf, als hätten einige Schilderer der Umsicht (= Aussicht), welche der Kulm der Rigi darbietet, das Kolorit hin und wieder zu glänzend aufgetragen und ins Überherrliche gemalt, gehört wahrlich zu den ungerechtesten Vorwürfen von der Welt. Selbstanschauung hat mich nun überzeugt, dass für eine vollkommen würdige Darstellung derselben kein Pinsel allzu kräftig und keine Färbung allzu glühend sein könnte…“
Matthisson geht in seiner Schilderung erstmals noch einen Schritt weiter. Seine durchaus religiös bestimmte Wallfahrt gilt nicht mehr in erster Linie den beiden Wallfahrtsorten, sondern das Naturerlebnis wird zur religiösen Erfahrung. Wir lesen:
„Noch vor Sonnenaufgang erstieg ich diesen Morgen die Kulm, deren höchster Scheitelpunkt durch ein kolossales Eisenkreuz dem hinaufkletternden Wallfahrer sich höchst romantisch darstellt. Die Aussicht auf die bekannten dreizehn Wasserspiegel (in Wirklichkeit sind es elf) und anderen Naturherrlichkeiten kann von keinem Gemälde übertroffen werden. Sie ist Wirklichkeit. ..Jeder meiner Empfindungen aber wurde zu einem Lobgesang an den Weltgeist.“
Johann von Orelli
Seine Schilderung aus dem Jahre 1769 macht uns darauf aufmerksam, dass man sich auf der Rigi auch bei einem heftigen Gewitter nicht zu fürchten brauche, denn der Berg und seine Landschaft stehe unter einem besonderen Schutz. So schreibt er in seiner „Reise über den Rigiberg und die Vierwaldstätte“:
„Gerade über dem Gipfel des Berges hatte sich ein dichtes Gewittergewölk gesammelt. Aber das Gerassel des Donners machte in die Tiefe des Tals hinunter für das Gehör einen so angenehmen Eindruck; diese Gegend war von Zeit zu Zeit so schön von dem Blitze erleuchtet, dass sich jeder Gedanke von Gefahr in mir verlor, und ich, statt Fürchterliches zu hören oder zu sehen, vielmehr die lieblichste Ruhe empfand, und alle meine Sinnen nur den angenehmsten Eindrücken offen stunden… Und dann machte mich die Versicherung beherzt: Der Strahl schlage in diesem Revier niemals oder doch nur selten ein; der Wind treibe die Wolken von diesen hohen Bergen meist über das Tal hinwieder auf andere Gebirge. Wirklich traf es so ein; das uns bedrohende schwarze Gewölk entfernte sich bald.“
Anderseits verfügt Orelli über einen genauen Blick, dem auch die Unannehmlichkeiten einer Rigiwallfahrt nicht entgehen. Auf dem Kulm stand damals noch kein Hotel. So beschreibt er den Vorabend und die Nacht vor einem Sonnenaufgang mit folgenden Worten:
„So trübe das Gewölk noch bei unserem Bettgehen war, so sehr erheiterte sich der Himmel gegen Morgen, und wir so viel Glück kaum erhoffen durften, waren wir doppelt empfänglich für den Anblick den wir erwarteten.
Wir hatten ein hartes Lager auf rohem, eben nicht gar reinlichem Bettzeuge; die Bettstätten waren voll Ungeziefer. Unangenehm genug für den Augenblick, aber mit dem Vorteil begleitet, dass wir uns desto früher marschfertig machten.
Ich hatte diesen Gipfel des Berges in der kühlen Morgendämmerung, zum Teil noch vor derselben, mit einer in ein Papierblatt gewickelten Wachskerze (so still war die Luft) bestiegen.“
Und nun folgt von Johann von Orelli eine der allerersten auch literarisch hochstehenden Schilderungen des inzwischen weltberühmten Sonnenaufgangs auf der Rigi, bei der nicht nur die überwältigende Sicht, sondern der Ablauf des Geschehens, beginnend am Säntis, beschrieben wird:
„Ich überliess mich den seligsten Gefühlen, als auf einem in weiter Ferne gegenüberliegenden Appenzeller-Gebirge ein langer Streifen von ineinander sich verlierenden falben Gelb und Rosenrot erschien, der sich bald der ganzen Länge dieses Bergs nach hinzog, und ein kleines aufsteigendes Gewölk immer höher färbte, hinter welchem die Sonne noch verborgen lag.
Da jetzt diese nach wenigen Minuten mit ihren Strahlen anfing hervorzubrechen, schien es zuerst, als wenn der heftigste Brand eines entlegenen Dorfs in lichte Flammen ausschlagen würde, der sich für einige Augenblicke wieder verlor, als jetzt das grosse Auge des Tags mit Eins in dicht konzentriertem Feuer, und in der Gestalt einer aus der obersten Bedachung eines Hauses unwiderstehlich ausbrechenden Flamme zum Vorschein kam, die sich nach und nach in ein, zwei und drei brennende hohe Leuchter zu verteilen schien.
Endlich war es, als stösse alles wieder in eine Masse zusammen, die sich in eine grosse, blassgelbe Scheibe verwandelte, deren Kreis mit einem rötlichen Bande besäumt war. Endlich brachen alle Strahlen durch und es war voller Tag.“
Carl Maria von Weber (1786 – 1826)
Wir erwähnen C. M. von Weber deshalb, weil wir vom Begründer der romantischen Oper selbstverständlich eine romantische Beschreibung der Rigi erwarten. Das genaue Gegenteil trifft zu. Seine Erfahrungen und Eindrücke am 6. Und 7. September 1811 hält er mit folgenden Worten fest:
„Herrliche Natur. Höchst mühseliges Steigen. Abends halb 7 halb tot auf der Rigi Staffel angekommen. Es war zu wolkig, um noch den Kulm zu besteigen, wir machten also noch die Stunde bis zum Wirtshaus und zum Kapuziner. Im Ochsen eingekehrt. Ganz warme Ziegenmilch vom Euter getrunken. Übernachtet. Hundemüde.
Den 7. (September) früh 3 Uhr auf und den Kulm bestiegen. Fast glaubte ich ihn nicht zu erreichen, da mir der Sonnenaufgang schon so sehr nahe schien und ich daher sehr eilte und mich über die Massen anstrengte. Ich erstieg den Kulm in ¾ Stunden und kam höchst erhitzt oben an, wo eine ziemliche Kälte herrschte, so dass das vom Führer angemachte Feuer sehr erfreulich war. Um ½ 6 Uhr erschien die Sonne in ihrem Glanze, nachdem sie vorher die Spitzen der Gletscher vergoldet hatte und reichlich war ich für meine Mühe belohnt. Beschreiben muss man so etwas nicht.“
Felix Mendelssohn (1804 – 1847)
Er hat, mit Hilfe eines rein musikalischen Kriteriums vielleicht das höchste Lob über die Rigi gesprochen. Er kam nach einer längeren Wanderung in die Alpen am 30. August 1831 auf die Rigi und meint:
„ Wenn man so aus den Bergen kommt, und dann nach dem Rigi sieht, - das ist, als käme am Ende der Oper die Ouvertüre und andere Stücke wieder; alle die Stellen wo man so Himmlisches sah: die Wengeneralp, die Wetterhörner, das Engelbergertal sieht man hier noch einmal nebeneinander liegen, und kann Abschied nehmen…“
August Graf von Platen (1796 – 1835)
Er besteigt 1816 als Zwanzigjähriger die Rigi und erwähnt – bevor er sich als Dichter ausweist – ein für die kommende touristische Entwicklung wichtiges Detail:
„Es wird ein Haus am Kulm gebaut, um künftig Fremde beherbergen zu können. Wir mussten mit der Hütte, die man findet, vorlieb nehmen und liessen uns ein Feuer anschüren, denn es war ziemlich kalt.
In der Hütte fanden wir ein Fremdenbuch, wie übrigens allerwegen in der Schweiz, eine annehmliche Gewohnheit. Das Buch war noch ziemlich neu, wenig bekannte Namen, wenig hübsche Verse und Impromtüs. Ich selbst, als wir weggingen, zeichnete unbedeutende Verse in das Buch ein, um später vielleicht kommenden Freunden meiner Reisegefährten oder meiner selbst, ein unbedeutendes Denkmal zurückzulassen, um ihnen anzuzeigen, mit welchem Glück wir ein Abenteuer bestanden. Hier die Reime:
Bei dem Licht des Vollmonds, unerschrocken,
stiegen wir bis an ein wirtbar Haus:
Unterm leisen Klang der Herdenglocken
und der Bäche donnerndem Gebraus.
Aber kaum begann die Nacht zu weichen,
klimmten wir bis an des Kulmes Kreuz,
sahn die Sonne majestätisch steigen,
sahn beglückt in die beglückte Schweiz.
Die ihr hierher kommt, deutsche Brüder,
sanfte Freunde herrlicher Natur,
hier geniesst, und kehrt dann freudig wieder,
nach der heimatlichen Väterflur.“
Johann Josef von Görres (1776 – 1848)
Johann Joseph von Görres, der Gelehrte und Politiker, Gegner Napoleons und der bedeutendste politische Schriftsteller seiner Zeit war am 10. Juli 1820 auf der Rigi. Nach der Beschreibung des Sonnenaufgangs beschreibt er als einer der ersten nicht nur die Natur, sondern die Besucher und teilt sie, typisch Politiker, in verschiedene Nationen auf. Der ironische Unterton des genauen Beobachters ist unüberhörbar.
„ Es steht hier oben dicht am Gipfel ein Wirtshaus nur von Holz gebaut, in dem man recht wohl aufgenommen ist. Das ist die allersonderbarste poetische Kneipe auf Gottes Erdboden, das wahre Compostell der reisenden Schweizerei an der Jakobsstrasse. Da kreuzen sich alle Völkerstrassen und alle Sprachen, jeder Tag sieht andere Gäste, die alle ihren sauren Schweiss daran gesetzt, die Höhe zu besteigen, und nur murrend oder vergnügt abscheiden, je nachdem sie der Berggeist bei böser oder guter Laune angetroffen.
Die Engländer haben stark die Sitte, nachts elf, zwölf bei Laternenschein heraufzukommen, um gleich am anderen Morgen vor Sonnenaufgang wieder abzureisen, wo sie denn wenigstens sagen können, dass sie oben gewesen.
Die Franzosen fluchen häufig, wenn sie oben angelangt, dass das alles für ihre schwere Mühe sei.
Die Deutschen, wenn sie nur einigermassen einen Sonnenblick gehabt, machen der dortigen Natur gebührende Referenzen,
Die Schweizergewöhnlich in Versen aus Schiller oder von eigener Fabrik, wenn es Honoratioren sind, die andern in gerührter Prosa,
Die deutschen Studenten gemeinhin in burschikosen Redensarten,
Die Preussen sind darunter leicht durch ihren impertinenten Ton gegen die Wirte und ihre Ziererei gegen die Natur zu erkennen.
So wimmelt das Nest nun gewöhnlich wie die Arche von reinen und unreinen Tieren, da es wie eine Cremoneser Geige aus hundert Holzstücken zusammengeleimt fortwährend räsoniert und schwirrt und tönt, so ist immer bis tief in die Naht ein höllischer Spektakel; hat man die Augen endlich ein wenig geschlossen, so kündigt neuer Lärm an, wie die Sonne die ihrigen zu öffnen beginne, und um halb vier kommt der Wirt und geht an jede Tür, um die Wachenden zur kühlen Morgenluft zu wecken. Nun rafft sich alles auf und eilt meist schon eine halbe Stunde zu früh zum Kulme.
Da ist es nun zum Erbarmen, die sentimentalen Damen zu sehen, wie sie zitternd im Nachtwind stehen und die Mäntel eng an sich ziehen und blass sich härmen vor prosaischem Froste und Langeweile, da die Sonne wie eine Königin gar zu lange auf sich warten lässt, die Winde aber, je mehr sie naht, heftiger und frostiger sich erheben.
Endlich kommt die Langersehnte , aber dann sind die Bewunderer meist halb erstarrt, die Phantasie, sie hängt jämmerlich wie ein beregneter Schmetterling die matten Flügel, die Füsse sind im kalten, feuchten Reife nass geworden und erkältet, und der poetische Appetit ist grösstenteils vergangen…“
Friederike Brun (1765 – 1835)
Einst bekannt unter dem Namen: Madame de Stael des Nordens. Lassen wir die in Kopenhagen lebende und wegen ihren Reisebeschreibungen berühmt gewordene Schriftstellerin zu Worte kommen. Ihre Beschreibungen sind vor allem deshalb interessant, weil sie endlich auch die Arbeit und das karge Leben der Älpler realistisch beschreibt und glaubte, den Grund für das frühzeitige Altern der Frauen gefunden zu haben. Nach der Schilderung, wie Alpkäse hergestellt wird, beobachtet sie den Raum der Alphütte:
„Der Senn hatte ein rundes Brett mit einem Stil um den Leib geschnallt, welches ihm zum Milchstuhl diente, - allein dieser portative Stuhl ward bei jedesmaligem Aufrichten und Gehen von einer Kuh zur andern, zum Schwanz, welches, da unser guter Senn obendrein noch hinkte, einen höchst lächerlichen Anblick gab...
Dem Herde gegenüber steht eine Lagerbank, die nur mit einem Strohsack bedeckt ist, und Bett und Stuhl zugleich; ein hölzerner Schlagtisch für die Milchgerätschaften machte alle Meubles aus. Neben dem Herde sind Pflöcke für das Milchsieb, die Schaumlöffel etc.; unter dem Dach ist ein kleiner Verschlag, wo etwas Heu liegt, und der Hirtenbub schläft…
Der wackere Mann bedauerte mit mir die immer mehr einreissende Kaffesucht. Der Kaffe macht wirklich die Hauptnahrung der Älpler sowohl, als der Bewohner der Vorberge aus. Er raubt den Weibern die Blüte der Jugend; und man versichert, dass seit dem überhandnehmenden Gebrauch desselben, die Frauen zumal früher altern und schlechte Zähne bekommen.
Sowohl hier wie auf dem Albis frühstückte die ganze Familie mit Kaffe, der in einem grossen Kessel samt der Milch gekocht ward; und dann mit Kartoffeln und getrocknetem Obst zusammengebrockt die sonderbarste Olla-potrida gab…“
Johann Martin Usteri (1763 – 1872)
Wir kennen den liebenswürdigen Dichter von „Freut euch des Lebens/ weil noch das Lämpchen glüht…“ Er beschrieb seine offensichtlich strapaziöse Rigireise mit viel Verständnis für das Menschlich- allzu menschliche in einfacher Gedichtform:
Aber fest stand Bürgis Hütte
Und wir schliefen ungestört,
Hätte uns durch Spalt und Ritze
Nicht des Nächsten Not gestört.
Einem war zu kurz das Lager,
Einem war die Streu zu Rauch,
Einer hatte Rückenschmerzen,
Einer Not in seinem Bauch.
Einer glaubte Feu’r zu sehen,
Einer träumt vom Wasserguss,
Einer sprach den Alpensegen,
Einer fluchte vor Verdruss.
Einer kalkuliert die Zeche,
Einer seufzte nach der Miss,
Einer klagte über Blasen,
Einer über Hosenriss.
Und man stopfte Aug‘ und Ohren
Endlich fester zu und schlief,
Bis der Wirt uns, leise klöpfelnd,
zu dem Sonnenaufgang rief.
Marc Twain (1835 – 1910)
Seine Beschreibung des Sonnenaufgangs ist die sowohl berühmteste wie komischste Beschreibung des Sonnenaufgangs auf der Rigi. Deswegen hat ja die Reisegesellschaft am Vorabend den Berg bestiegen, aber man war so müde, dass man nicht nur den Sonnenaufgang, sondern gleich den ganzen Tag verschlafen hatte. Dennoch, man glaubt, man sehe den Sonnenaufgang.:
‘Mindestens fünfzehn Minuten zu spät!‘ sagte Harris mit trauriger Stimme, die Sonne steht schon über dem Horizont‘.
‚Schadet nichts‘, erwiderte ich, ‚es ist dennoch ein grossartiger Anblick und wir wollen ihn noch weiter geniessen, bis die Sonne höher steht.‘
Einige Minuten waren wir tief ergriffen von dem wunderbaren Anblick und für alles andere tot. Die grosse, klare Sonnenscheibe stand jetzt dicht über einer unendlichen Anzahl weisser Zipfelmützen – bildlich gesprochen. Es war ein wogendes Chaos riesiger Bergmassen, die Spitzen geschmückt mit unvergänglichem Schnee und umflutet von der goldenen Pracht des zitternden Lichts…
Wir konnten nicht sprechen, ja kaum atmen; wir standen in trunkener Verzückung und sogen die Schönheit ein, als Harri plötzlich schrie: ‚Verd…sie geht ja unter!‘
Wahrhaftig, wir hatten das Morgenhornblasen überhört, hatten den ganzen Tag geschlafen und waren erst am Blasen des Abendhorns aufgewacht: das war niederschmetternd.“
Weitere literarische Prominenz: Eindrücke meistens in Briefen
- Joseph von Eichendorff
- James Cooper, „Lederstrumpf“, 1828
- Alphons Daudet
- Victor Hugo
- Adalbert Stifter
- Richard Wagner
- Ludwig Uhland
- Romain Roland
- Hermann Hesse
- Heinrich Federer
- Josef Maria Camenzind
- Meinrad Inglin usw.
Carl Spitteler (1845 – 1924)
Stellvertretend für viele lassen wir zum Abschluss den literarischen Nobelpreisträger sprechen:
„Ich will mit dem Bekenntnis beginnen, dass ich die Rigi einfach für den herrlichsten Berg halte, den es auf der Erde gibt -, und zwar schätze ich ihn von Tag zu Tag höher, sodass ich am Abend ins Tal zurückgekehrt, gleich am andern Morgen wieder hinauf möchte.“
(mitgeteilt von Ruth Reinecke – Dahinden, die auf Rigi Kaltbad geboren und aufgewachsen ist.)